Medium | VHS |
---|---|
Künstler / Autor | Richard Engel |
Veröffentlichung | 29.07.2016 |
Teaser / Slogan | Dokumentarfilm über den Arbeiter und Künstler Gerhard Gundermann |
Mitwirkende | Gundermann, Bettina Wegner, Die Seilschaft, Frank Castorf |
Regisseur | Richard Engel |
Artikelbeschreibung
ACHTUNG VHS!
Dieser Film ist mehr als und doch zuerst ein persönliche Porträt über Gerhard Gundermann -als Baggerfahrer, Arbeitsuchender, Tischlerlehrling, Rockmusiker, Querdenker oder Vater.
Das näher rückende Ende der Landschaft, einer Industrieregion, einer Vorstellung von Tätig sein, hat exemplarischen Charakter über die konkreten Ort und seinen Menschen hinaus.
Richard Engel begleitet Gerhard Gundermann in den Tagebau, auf die Bühne, unterwegs uns zuhause.
Mitten in den Arbeiten zum Film starb Gundi.
Nach seinem Tod befragte Engel Freunde, Bekannte und Arbeitskollegen, die Feuersteine und seine Bandkollegen, Künstler wie Castorf, die Wegner oder die Silly-Musiker....
NEUES DEUTSCHLAND schreibt am 16. 12. 99 über den Film von Richard Engel:
„Alles noch einmal auf Anfang: Gundermann, der zweite – Film. Richard Engel, der Freund, der Regisseur, schaut auf das Leben des Sängers zurück, der im Juni 1998 – wirklich erschütternd unerwartet – verstorben war. Aber mit bezwingender Sicherheit vermeidet dieses Porträt, ein vordergründiger Nach-Ruf zu sein. Unaufgeregt und ohne Betroffenheitspathos beobachtet Engel
(Kamera: Uwe Mann) einen Alltag im Umbruch: Aus Gundi, dem Baggerfahrer wird Gundi, der Umschüler. Tischler will er werden, einen Schaukelstuhl der besonderen Art hatte er schon entworfen, und der Lehrmeister konnte nur auf die Phantasie und Gnade der Prüfungskommission bauen... Engels Film - zu sehen im Berliner Kino „Balasz“ – zeigt einen Gundermann, dessen Agierlust sich ins Leben frisst, wie der geliebte Bagger 1417 sich ins wehrlose Stück Lausitz fraß. Ende der Eisenzeit. Berührend Gundis ehemalige Arbeitskollegin, Heldin schon im ersten Film: Abschied von Matjora in Hoyerswerda. Eine alte Frau sitzt im sozialen Niemandsland. Aber sie wird bleiben. Heimat: Trost und Fluch. Wahrscheinlich mehr Fluch als Trost.
Gundermanns Abschied vom Tagebau: Trauer und Erlösung zugleich; Ende einer beglückenden Selbstfindung und doch auch Ende einer großen Zerstörung.
Lebenprägende Spannung und zugleich Zerreißprobe. Beidem ist der Film auf der Spur: Wie lange darf man tun, als ob man noch immer jung und unverletzbar sei? Was ist mit den Idealen, wenn man Mut zur Wahrheit hat?
Und was mit der Wahrheit, wenn man zu sehr den Idealen folgt? Sich selbst ernst zu nehmen – treibt es einen nur, oder hält es einen auch verflucht auf?
Das Porträt beobachtet den Arbeiter, den Feuerstein-Brigadisten bei der Erinnerungs-Fete, den Privatmann; ins Bild kommt der große Träumer und der kleine Bürger, der Weltläufige und der Gartensitzende. Freunde sowie Kollegen des Tagebaus und der Abendbühne reflektieren ihren Umgang mit einem wunderbar aufreibungsbereiten Narren zwischen SED –„Nestbeschmutzer“ und IM, zwischen Utopie ganz aus Kosmos und Friedensmission der „Grünen Armee“. Der auch einsam war, weil er sich nie im Ballungszentrum menschlichen Geistes
aufhielt: dem Mittelweg.
Engel erinnert in diesem Film per Selbstzitat auch an sein erstes Fernsehporträt über Gundermann. Noch einmal die rigorose Ablehnung durch einstige Arbeitskollegen, gekontert mit heutiger Nachsicht. Noch einmal sieht man jene alte Szene, da Gundi Ernst Buschs Lied von der Jaramafront singt, man spürt in diesem jungen Menschen die Kraft einer Erinnerung, für die ihm ja gar kein eigenes Leben zur Verfügung stand – die ihn aber doch trotzdem vehement ergriff. Gerade in dieser Szene entdeckt man noch einmal den ganzen Gundermann: Sein Leben ist ein fröhlicher, unbedarfter, störerischer, rücksichtsloser, uneinsichtiger Akt der Auflehnung – gegen die Totalherrschaft einer Gegenwart, die dem Individuum jede Anwesenheit von geschichtlichem Gewordensein, von Verknüpfung im Universellen, jedes Empfinden von mythischer Zeit rauben will. Das meint Spaniens Himmel ebenso wie das geliebte Hemd vom Vater.
Irgendwie passt Engels Film glänzend ins Milleniumfieber. Indem er von einem erzählt, der nie zu dem Planstellendenkern und Fahrkartenzwickern des Zeitgeistes zählte. Der lebte, was wir uns alle angesichts der magischen Jahreszahl wünschen sollten: ein bisschen mehr Klarheit über die eigene Konfusion, ein bisschen weniger Angst vor der eigenen Angst, ein bisschen mehr Aufmerksamkeit, Respekt und Bescheidenheit vor dem Unbekannten. Dann werden wir weitersehen.“
Und DER TAGESSPIEGEL vom 09. 12. 99 schreibt:
(...) Musik und Baggerfahren. Das war keine Attitüde. Eines ging nicht ohne das andere. Gerhard Gundermann fand seine Lieder achtzig freigeschaufelte Meter unter dem Meeresspiegel. Er schrie sie in den Lärm der Maschinen.
Dichten nennt man das. Es gehört ein unendlich gleichgültiges Medium dazu.
Eines, dem Menschen völlig egal sind. Tagebau-Gruben, irdische Mondlandschaften also. (...) Nicht dieser Bericht, nicht dieser wunderbare Film. Gundermann ist einer der Menschen, bei denen man immer wieder vergessen muss, was man schon über sie weiß. Weil man sie sonst nicht versteht. (...)
- 1. Laufzeit: 98 min, Farbe, FSK ab 0 Jahren